Wer hat Angst vor Braunau?

AT 2023 | 101 MIN | dt.

Regie: Günter Schwaiger

Drehbuch: Günter Schwaiger, Julia Mitterlehner

Kamera: Günter Schwaiger

Schnitt: Günter Schwaiger, Martin Eller

Musik: Roland Hackl

Ton: Julia Mitterlehner, Roland Hackl, Stefan Rosensprung

Warum wurde in Österreich noch nie ein Film über Hitlers Geburtsort und Haus gedreht? Diese Frage stellte sich der Regisseur Günter Schwaiger, als er 2018 mit der Arbeit an diesem Film begann. Kurz zuvor war das Haus von der Republik Österreich enteignet worden.


Fünf Jahre lang begleitet der Regisseur die spannenden Entwicklungen rund um die Nachnutzung von Hitlers Geburtshaus mit einem ganz persönlichen Blick. Vom Hinterfragen des Klischees der „braunen Stadt“ bis hin zu überraschenden und empörenden Entdeckungen führt ihn schließlich sein Weg bis in die eigene Familiengeschichte.

Kritik zum Film

Günter Schwaigers Filmdokumentation „Wer hat Angst vor Braunau?“ über Hitlers Geburtsort hat politische Sprengkraft

Kontrollierte Entsorgung des historischen Schutts?

Bei einer Straßenumfrage vor dem Salzburger Mozart-Geburtshaus nennen Besucher aus aller Welt auf die Frage nach dem zweiten berühmten Österreicher Falco, Sisi, Beethoven und den Energydrink-Erfinder Mateschitz. Selten wird der Name Hitler genannt, womöglich aus Unwissenheit dass dessen Geburtsort Braunau am Inn in Österreich liegt? Hitler, der die ersten drei Jahre seines Lebens in der Grenzstadt zu Bayern verbrachte, ist nur noch einmal dort gewesen – bei seiner Fahrt zum „Anschluss“ Österreichs 1938. laut Augenzeugenberichten hat er das Haus mit der Nummer 15 in der Salzburger Vorstadt keines Blickes gewürdigt.


So beginnt der Dokumentarfilm „Wer hat Angst vor Braunau?“, den der österreichische Dokumentarfilmer Günter Schwaiger am Montag in Wien vorgestellt hat. Der Regisseur, Jahrgang 1966, stammt vom Wallersee, auf halber Strecke zwischen Salzburg und Braunau gelegen. Erlebt seit Jahrzehnten in Spanien, hat sich filmisch mit der Franco-Diktatur beschäftigt und international Anerkennung mit Filmen wie „Hafners Paradise“ (2007) und „Ibiza Occident“ (2011) erfahren. Sein aktueller Film ist der erste, in dem er sich mit seinem Heimatland beschäftigt.


Er besucht seinen Bruder, der nach DJ-Jahren in Goa im Innviertel als Bauer lebt. Warum ausgerechnet im Dunstkreis der Bezirksstadt Braunau, die in Österreich seit 1945 einen schlechten Ruf hat? Obwohl die Braunauer nichts dafür können, dass sie das Hitler-Geburtshaus geerbt haben, sagen viele lieber unverbindlich, sie kämen aus der Gegend nördlich von Salzburg. Eine junge Frau, sie stammt aus der Familie Pommer, in deren Besitz das Haus einst war, sagt im Gespräch „etwas ist in uns eingegraben“. Schwaigers Film geht behutsam vor, dieses unsagbare etwas ans Licht zu befördern. Eigentlich sollte es ein Film darüber werden, wie der Verein Lebenshilfe Österreich das Geburtshaus, das er von den späten Siebzigerjahren an bis 2011 genutzt hatte, wieder übernehmen und zu einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung machen würde. Ein positives Beispiel, wie sich Österreich nach Jahrzehnten der Aufarbeitungsverschleppung nun doch bewege. Es kam anders. Das 2016 von der Republik Österreich auf dem Weg der Enteignung akquiriert Haus soll künftig eine Polizeidienststelle beherbergen, so verkündete es der damalige Innenminister und heutige Bundeskanzler Karl Nehammer 2019. es gab einen Architekturwettbewerb, gebaut wurde bis heute nicht.


Die Entscheidung rief weltweite Proteste hervor, Braunau ist immer für Schlagzeilen in der Weltpresse gut. die Ordnungsmacht ausgerechnet dort unterzubringen, wo einer der schlimmsten Diktatoren der Geschichte seinen Anfang nahm, missfiel nicht nur der Mehrheit der einheimischen. Überhaupt sind die Braunauer die eigentlichen Helden in diesem Film – mit ihrem Geschichtsbewusstsein, ihrer erklärten Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, den Kopf hinzuhalten, bis ihre Landsleute endlich aufhören, sie als Sündenbock zu missbrauchen. Das hat auch historische Gründe: mit Ausnahme der zwölf braunen Jahre war Braunau eine Stadt der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie. „Es ist nirgends leichter Antifaschist zu werden als in Braunau“, sagt der dort geborene Medienwissenschaftler Karl Sierek.


Er ist einer von vielen Zeitzeugen, die Schwaiger auffährt. Darunter Florian Kotanko, Vorsitzender des Vereins für Zeitgeschichte, der beste Kenner der Geschichte des Hinterhauses; der Bauforscher Paul Mitchell, die ehemalige Braunauer Vizebürgermeisterin Lea Olczak, die einen polnischen Zwangsarbeiter heiratete, die Historikerin Helga Embacher. In Gestalt von Hermann Feiner, Sektionschef (entspricht dem deutschen Staatssekretär) im Innenministerium, spricht der Zuständige für das Projekt, der nach langem Zögern eine Drehgenehmigung für das innere des leer stehenden Hauses erteilte.


Nichts Bedrohliches geht von diesen Bildern aus, sie konterkarieren das stets ins Feld geführte Argument des Ministeriums, Neonazis könnten solche Bilder benutzen. „Der Staat will eine Symbolik brechen, die gar nicht existiert“, sagt Schwaiger im Gespräch mit dieser Zeitung. So bestimmt weiter eine gefälschte NS-Postkarte vom Geburtszimmer, die im Netz kursiert, das Bild. Feiner will die Erinnerung „überall, nur nicht hier“, haben, sondern an den Opferorten. Bequemer hinter den Mauern der Konzentrationslager, fragt aus dem Off der Regisseur. Mit der Fixierung auf Neonazis würden die Angst und die Dämonisierung fortgeschrieben, sagt auch Helga Embacher.


Tatsächlich wirken die Szenen, die Schwaiger mit versteckter Kamera am Geburtstag Hitlers filmt, skurril. Ein Berliner legt ein Gesteck mit der schleife „RIP USA“ in einer Fensternische ab – „USA“ stehe für „Unser seliger Adolf“, erklärt er –, das ein wütender Passant in den Mülleimer stopft. Ein anderer Ewiggestriger zündet zwei Kerzen an, bis ihn Polizisten wegführen.


Bis zur Fertigstellung des Films vergingen sechs Jahre, ebenso viele Innenminister und Kanzler erlebte die Republik Österreich in diesem Zeitraum. Für Günter Schwaiger wird das Thema zu einer Reise in seine Familiengeschichte, zum Grab der Eltern, die im „Dritten Reich“ Kinder waren und trotzdem wussten, was geschah, weil sie Augenzeugen wurden wie Zwangsarbeiter und Juden deportiert wurden. Mauthausen war nicht weit. Das erzählten sie dem Sohn vor fünfzehn Jahren, der nun zum ersten Mal wieder diese Aufnahmen ansehen konnte: Ich habe meine Eltern lange verurteilt, weil sie keine Worte gefunden haben, heute weiß ich, dass man ihnen keine gegeben hat.“ Ähnliches gelte für seine Generation, die Babyboomer: „Das Mitschleppen des Schweren in uns, das Vor-sich-Herschieben des Themas, löst nichts. Es ist höchste Zeit, dass wir uns damit auseinandersetzen.“


Sensation oder Ironie der Geschichte? Der Film birgt einen politischen Sprengsatz. 1938 hatte Martin Bormann das Geburtshaus für die NSDAP erworben, um die Fäden in der Hand zu halten. Zugänglich sollte das Haus nicht werden, aber was hatte Hitler eigentlich damit vor? In der Zeitschrift „Neue Warte am Inn“ erschien 1939 ein Artikel, der berichtet, der „Führer“ wolle dort „Kanzleien der Kreisleitung“ untergebracht sehen – Parteibüros. Der Artikel ist seit Jahren bekannt und online zugänglich, Florian Kotanko hat ihn entdeckt. Schwaiger sieht eine frappierende Parallele zu den aktuellen Plänen der Regierung. Wenn Österreich dort eine Polizeidienststelle unterbringe, erfülle es, was Hitler plante. Vor lauter Angst vor den Neonazis weigere man sich, ein offenes Haus zu betreiben – was die Einrichtung der Lebenshilfe zweifellos geworden wäre.


Im Abspann noch einmal Sektionschef Feiner zum Thema Bauschutt. Es werde eine kontrollierte Entsorgung geben, „so dass keine Möglichkeit besteht, sich teile des historischen Bestandes in irgendeiner Form zu sichern“. Bilder von Leichenbergen in den befreiten KZs stehen neben Szenen aus Heimatfilmen, die nur zehn Jahre später eine heile Welt vorgaukeln. Günter Schwaiger: „Aus dem moralischen Untergang erhob sich eine neue Gesellschaft, die auf der nächsten Lüge basierte.“ Das müsse aufhören. Deshalb sei sein Film – Deutschlandpremiere ist Ende Oktober bei den Hofer Filmtagen – „keine Anklage, sondern eine Einladung zur Aufarbeitung, zum Miteinander-Reden.“


Hannes Hintermeier, FAZ, 22.8.2023

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